Heiliger Nikolaus (Guarutti) von Tolentino
Gedenktag 10 September
Da lebten vor mehr als siebenhundert Jahren in dem italienischen Städtchen Tolentino ein Mann und eine Frau, deren Ehe zu ihrem größten Leidwesen kinderlos blieb. Erst als sie eine Wallfahrt nach Bari an das Grab des heiligen Nikolaus gemacht hatten, legte ihnen der liebe Gott auf die Fürsprache des kinderlieben Heiligen zum nächsten Nikolausfest einen kleinen Jungen in die leere Wiege, und die Eltern freuten sich so herzlich, wie sich die Kinder am Nikolausfest freuen. Selbstredend wurde der Junge auch auf den Namen Nikolaus getauft.
Der Kleine wuchs heran, und als er Verstand bekam und hörte, dass er ein Nikolauskind war, fragte er Eltern und Lehrer und alle Leute, die es wissen konnten, nach dem Namenspatron aus, und in allen Heiligenlegenden, die er bei Verwandten und bei den Bekannten auftreiben konnte, studierte er das Kapitel unter dem Datum vom 6. Dezember, und alles, was er da hörte und las, übte und tat er selbst, weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte, geradeso zu werden wie der Namenspatron.
Als der Junge beispielsweise erfuhr, dass der heilige Nikolaus ein Frühaufsteher war, sprang auch er morgens mit dem ersten Sonnenstrahl aus dem Bett, und nie mehr brauchte ihn die Mutter ein zweites Mal zu wecken und zu rufen. Weil der heilige Nikolaus streng gegen sich selbst war und drei Tage in der Woche fastete, um den Leib in Zucht und Ehrbarkeit zu halten, machte es Nikolaus von Tolentino auch so, und als er mit zwanzig Jahren ins Kloster ging, fügte er noch einen weiteren Fasttag zu Ehren der Mutter Gottes hinzu. Vor allem war es des jungen Nikolaus von Tolentino eifriges Bestreben, so lieb und gütig und von Herzen gut zu allen Leuten und vorzüglich zu den Kindern zu sein, wie es wieder der große heilige Nikolaus gewesen war.
Das alles hört sich leicht an, aber einfach war es nicht, denn auch Nikolaus von Tolentino hatte einen jähen Sinn und ein heißes Blut, und auch ihm blieben lange und harte Kämpfe gegen den Eigenwillen und die sündige Weltlust nicht erspart, aber er hielt sich tapfer und wacker, und als er im Jahr 1279 die heilige Priesterweihe empfing, stand sein Leben in voller Blüte, und mit den Früchten der Heiligkeit labte er auf der Kanzel und im Beichtstuhl ungezählte Menschen, Männer, Frauen und Kinder.
Auf diese Weise wirkte Nikolaus von Tolentino als seeleneifriger Priester gut fünfzig Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 1336 segensreich am Heil der Seelen, und allen, die mit ihm zu tun hatten, sprangen besonders seine Wohltätigkeit, Güte, Milde und Abgeklärtheit angenehm in die Augen, so dass er dadurch seinem großen Namenspatron zum Verwechseln ähnlich war.